Krankheitsbild der Akromegalie

Prof. Dr. Stephan Petersenn
Prof. Dr. Jochen Schopohl
Prof. Dr. Jürgen Honegger

Symptome der Überproduktion von Wachstumshormon

Symptome und Begleiterkrankungen der Akromegalie- Copyright Uniklinik Tübingen

Ursache, erste Symptome und Diagnosestellung
Die klinischen Symptome der Akromegalie lassen sich auf lokale Komplikationen durch das Adenom der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) sowie auf die Überproduktion von Wachstumshormon (GH für englisch „growth hormone) zurückführen. Aufgrund der zunächst diskreten Symptome wird die Erkrankung oft erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert. Die Zeitdauer vom Beginn der Symptome bis zur Diagnose liegt meist zwischen 4 und 10 Jahren. Die Diagnose wird bei ca. 40% der Patienten eher zufällig durch den behandelnden Arzt, Zahnarzt oder bei einer Röntgenuntersuchung gestellt, ohne dass Beschwerden angegeben werden. Bei den übrigen Patienten erfolgt die Diagnose aufgrund einzelner Symptome, wie sie im Folgenden dargestellt sind.

Lokalsymptome
Man unterscheidet sog. Mikroadenome (≤ 1cm) und Makroadenome (> 1cm). Die kleineren Mikroadenome verursachen in der Regel keine lokalen Symptome. Die Makroadenome, die bei etwa 60 % der Patienten bei Diagnosestellung vorliegen, verursachen Beschwerden aufgrund ihrer verdrängenden Wirkung, insbesondere in Form von Sehstörungen und Kopfschmerzen. Selten sind Sensibilitätsstörungen oder auch Schmerzen im Gesichtsbereich durch eine Trigeminuskompression, sowie Doppelbilder durch Druck auf den dritten, vierten oder sechsten Hirnnerven. Die lokale Kompressionendokrin aktiver Hypophysenzellen durch das Adenom kann zur Unterfunktion einzelner Hypophysenfunktionen führen. Regulationsstörungen der Eierstöcke bzw. der Hoden können bei Frauen häufig zu Zyklusstörungen und bei Männern zur Impotenz führen. Libidostörungen finden sich bei beiden Geschlechtern.

Äußere Veränderungen
Die Symptome entwickeln sich sehr langsam und sind nicht immer in vollem Umfang vorhanden. Die Gesichts- und Kopfhaut ist verdickt und vermehrt gefältelt. Gelegentlich fällt dem Patienten die Zunahme der Hutgröße auf. Die Augenbrauen stehen hervor, gleichzeitig erscheinen Jochbogen und Wangenknochen betont. Lippen und Nasenfalten sind ebenfalls verdickt, die Zunge ist vergrößert. Ein hervorstehender, verlängerter und verbreiteter Unterkiefer (s. auch Abbildung 1) ist häufig mit Ausbildung von Zahnlücken und Fehlbiss verbunden. Meist lassen sich die Veränderungen nur durch den Vergleich von Gesichtsfotographien früherer Lebensabschnitte nachweisen. Hände und Füße nehmen an Größe zu (s. Abbildung 8). Auf Nachfragen berichten die Patienten, dass Handschuhe und Schuhe nicht mehr passen und größere Nummern gewählt werden müssen. Finger und Zehen wirken verbreitert. Ringe sitzen enger und müssen teils zur Entfernung aufgeschnitten bzw. erweitert werden. Feine Handarbeiten sind häufig nicht mehr möglich. Unter der Behandlung können sich die Veränderungen teils zurückbilden.

Skelett-Veränderungen
Manifestiert sich die Akromegalie beim Heranwachsenden, so entwickelt sich ein Gigantismus(s. Abbildung 10). Nach dem Schluss der Wachstumsfugen (Epiphysenfugen) ist ein Längenwachstum des Knochens nicht mehr möglich, so dass es vorwiegend zu einer charakteristischen Verdickung des Knochens kommt. Gelenk-Veränderungen können zu belastenden Schmerzen und schwerer Arthrose führen. Nicht selten ist bei langer Zeit unzureichend behandelter Akromegalie ein Gelenkersatz von Knie oder Hüfte erforderlich.

Haut
Eines der ersten Zeichen ist die teigartige Veränderung der Haut im Bereich von Gesicht und Extremitäten, mit Schwellungen der Handflächen und Fußsohlen. Im Verlauf fallen zudem geschwollene Augenlieder, vergröberte Hautporen, vermehrte Behaarung, verdickte und verhärtete Nägel, sowie vermehrte Hautanhängsel auf. Vermehrte Pigmentnaevi werden bei mehr als einem Drittel der Patienten gefunden. Belastend kann eine ölige Schweißbildung sein, verbunden mit Ausbildung eines unangenehmen Körpergeruchs.

Stoffwechsel
Die erhöhten GH-Konzentrationen führen bei 30 bis 50% der Patienten zur Ausbildung einer gestörten Glukosetoleranz oder einem manifesten Diabetes mellitus. Fettstoffwechselstörungen treten ebenfalls häufig auf. Lipoprotein(a) als unabhängiger kardiovaskulärer Risikofaktor ist erhöht, eine Hypertriglyceridämie (Erhöhung der Neutralfette) ist bei akromegalen Patienten nahezu dreimal häufiger als bei gesunden Personen.

Herz-Kreislauf-System
Eine symptomatische Herzerkrankung in Form von koronarer Herzerkrankung, Herzrhythmusstörungen oder Herzmuskelschwäche wird bei 15 bis 20% der Patienten beobachtet. Der Verdacht auf einen arteriellen Hypertonus (Bluthochdruck) sollte durch Bestimmung des 24h-Blutdruckprofils bestätigt werden.

Atmungssystem
Ursächlich für eine Verengung der großen Atemwege werden Veränderungen von Zunge und Kiefer, Hypertrophie der Epiglottis (Kehldeckel, deckt beim Schluckakt den Kehlkopfeingang ab) sowie Verengung des Vokalspalts diskutiert. Erschwerend auf die Atmung wirken sich außerdem eine Verdickung der Lippen sowie die Hypertrophie nasaler Strukturen aus. Bei geplanten Operationen ist die Intubation aufgrund der lokalen Veränderungen häufig erschwert. Daher ist eine frühzeitige Konsultation des Anästhesisten notwendig.

Schläfrigkeit während des Tages und ausgeprägtes Schnarchen kann durch ein Schlafapnoe-Syndrom (s. Glossar) bedingt sein. Ein Schlafapnoe Syndrom mit mehr als 20 Apnoe-Phasen/Stunde führt unabhängig vom Vorliegen einer Akromegalie zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeitsrate, wahrscheinlich bedingt durch schwerwiegende Herzrhythmusstörungen. Bei typischen Symptomen sollte daher eine weitere Diagnostik erfolgen.

Nervensystem
Bei nahezu der Hälfte der Patienten finden sich Sensibilitätsstörungen der Hände und Füße, häufig auch eine bemerkenswerte Muskelschwäche. Ein Karpaltunnel-Syndrom (s. Glossar) mit Kompression des Nervus medianus wird bei 35 bis 50% der Patienten gesehen. Häufig werden die Patienten vor der Diagnose der Akromegalie wegen des Karpaltunnel-Syndroms operiert. Nach Normalisierung der erhöhten Werte des Wachstumshormons kann es sich zurückbilden.

Andere Organsysteme
Die durch den anhaltenden GH-Exzess bedingte Organvergrößerung kann auch weitere Organe betreffen. Den Schlemm-Kanal (führt das Augenwasser aus der Augenkammer ab) umgebendes Gewebe kann hypertrophieren und dadurch die Ausbildung eines Glaukoms (erhöhter Augeninnendruck) bei unzureichendem Abfluss des Kammerwassers bedingen. Die Elongation des Darms wird in einer verlängerten Transitzeit deutlich und erschwert kolonoskopische Untersuchungen.

Psychiatrische Auffälligkeiten
Diskrete Auffälligkeiten im Sinne von Stimmungslabilität, Motivationsverlust, sozialer Depriviertheit und Depression können das Krankheitsgefühlverstärken in Abhängigkeit von den äußerlichen Veränderungen.

Gutartige Tumorerkrankungen
Eine meist knotige Vergrößerung der Schilddrüse („Kropf“) ist sehr häufig. Auch eine Vergrößerung der Prostata (Prostata-Hyperplasie) sowie Uterus-Myome werden vermehrt beobachtet.

Bösartige Tumorerkrankungen
Untersuchungen zur Bedeutung von Krebserkrankungen bei akromegalen Patienten liefern widersprüchliche Ergebnisse, vorwiegend bedingt durch die schwierige Wahl der richtigen Kontrollgruppe. Hinweise für eine allgemein erhöhte Sterblichkeit an Tumorerkrankungen haben sich in epidemiologischen Studien nicht bestätigt. Dickdarmpolypen kommen wahrscheinlich bei Patienten mit Akromegalie häufiger vor. Da diese eine Vorstufe zu einer bösartigen Erkrankung sein können wird empfohlen, bei Diagnosestellung eine Dickdarmspiegelung durchzuführen. Über evtl. Kontroll-Untersuchungen wird dann der Magen-Darm-Facharzt entscheiden.“

Schlussfolgerungen
Aufgrund der vielfältigen Wirkungen von Wachstumshormon werden bei der Akromegalie unterschiedlichste Veränderungen von Organsystemen beobachtet. Da die Symptome zunächst eher diskret sind, vergeht häufig eine lange Zeitspanne zwischen ersten Zeichen und der Diagnosestellung. Dann sind die Folgeerkrankungen häufig bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Es ist daher notwendig, die Aufmerksamkeit für dieses seltene Krankheitsbild bei Ärzten und ärztlichen Hilfsberufen, aber auch in der Bevölkerung zu wecken, um Frühsymptome zu erkennen und rechtzeitig die notwendige Therapie einzuleiten.

Diese Darstellung ist für Laien bestimmt, kann aber in keinem Fall das Gespräch mit dem Arzt ersetzen. Nur dieser kann alle Einzelheiten des jeweils persönlichen Falles beurteilen, entsprechend weitere individuelle Aufklärung geben und gebotene diagnostische und ggf. therapeutische Maßnahmen einleiten. Die hier gegebenen Informationen entsprechen dem Wissensstand bei der letzten Bearbeitung der Website. Durch neue Erkenntnisse können sich Teile hiervon oder die gesamte Darstellung als veraltet herausstellen.